Schwere Geburt
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Am Sonntag wurde er geboren. Das heißt, der kleine Bock Balboa hat sich schon vor fünf Tagen ins Leben gekämpft. Seine ältesten Halbgeschwister, die Drillinge Knut, Mascha und Nappo, erblickten bereits vor zwei Wochen das Licht der Welt. Und heute... Ein Update ist wohl zwingend erforderlich... ;-)
"Lieschen wirft gerade...", lautete die Kurznachricht an Ralf am frühen Sonntagmorgen. So viel bzw. wenig war im Rahmen, als ich bei Ankunft im Stall Lieschen Höger ebendort entdeckte. Wenn Ralf sich beeilte, könnte er vermutlich eine Geburt miterleben...
Zwei kleine Klauen ragten aus Lieschens Scheide. Dem Schaf waren keine Wehen anzumerken, weder stöhnte noch presste es. Für die Geburt suchen die Schafe sich in der Regel ein ruhiges, geschütztes Plätzchen etwas abseits der Herde und so nahm ich an, Lieschen fühlte sich durch mein Auftauchen gestört und stellte deshalb ihre Bemühungen ein. Ich versorgte zunächst die anderen Damen, ließ dem erstmals werfenden Schaf seine Intimsphäre.
Nach einer Viertelstunde schaute ich nach Lieschen, stellte mir - komischerweise völlig entspannt - die Frage, wie lange Lämmerklauen scheinbar unverändert aus dem Geburtskanal ragen dürften und rief vorsichtshalber die Vorbesitzerin meiner elf Auen an. Diese ging leider nicht ans Telefon. Beim ersten Versuch nicht, beim zweiten nicht. Googeln geht ja auch mobil und so landete ich rasch in der Rubrik "Geburtsüberwachung beim Schaf" auf der mir mittlerweile vertrauten Seite "Nutztierhaltung".
Ralf erreichte den Unterstand, als ich gerade mit dem Gedanken "Okay, dann hole ich es jetzt wohl besser" tief durchatmete, denn so eine Lämmergeburt sollte nach dem Platzen der Fruchtblase pro Lamm maximal eine halbe Stunde dauern. Ich wusste doch gar nicht, wie lange das Schaf dort schon gebärend stand, wie lange es weder stöhnte noch presste. Ich wusste auch nicht, ob die aus dem Mutterschaf herausschauenden Beinchen sich bewegen müssten, nur noch, in welche Richtung man ein Bein nach dem anderen zieht und mit der zweiten Hand nach dem Näschen tastet, sofern es noch nicht rausguckt, um dann das Köpfchen zu stützen.
Ich habe Ralf noch gar nicht gefragt, ob er gemerkt hat, dass ich vor Aufregung fast starb, als ich ihm - gefühlt cool vorgebend, den Überblick zu haben - zurief, er soll dem Schaf beim Pressen helfen und den dicken Leib auf Kommando nach hinten drücken. Ich sah nämlich mittlerweile die Nase, spürte aber keine Bewegung und irgendwie tat sich nichts, als ich an den Beinchen zog. Dann bewegte sich eine winzige Zunge. Ich weiß nicht mehr, was ich alles gleichzeitig tat, aber beim blinden Zerreißen des Häutchens über dem Mäulchen und dem Hochschieben des Damms schrie das Schaf vor Schmerz und ich "Jetzt!". Ralf drückte, ich zog - Sekunden später lag ein riesiges Lamm, das größer war als seine neun Tage älteren Artgenossen, vor dem Geburtshelferteam.
Das Telefon klingelte. "Nö, war nicht so wichtig..."
Lieschen Höger, die zum ersten Mal Mutter geworden ist, war völlig perplex. Sie schaute das Lamm an, schleckte ganz, ganz zaghaft - wenn überhaupt - an ihm. Ach, einfach beobachten! Wie lange eigentlich?! Mist, die Mutter schleckt und akzeptiert das Lamm, stößt es aber heftig vom Euter weg...
Um das Ganze etwas abzukürzen: Es folgten doch noch einige Telefonate. Das Abmelken der Biestmilch in kleinen Dosen. Das Festhalten des Muttertieres, damit das Lamm an das offensichtlich schmerzende Euter durfte. Das Baby musste dabei gestützt werden. Alle eineinhalb Stunden sollte diese Prozedur unseren Sonntag gestalten, wobei die Unterstützung von Mal zu Mal unnötiger wurde. Den letzten Gang auf die Weide unternahm Ralf nachts um 22:00 Uhr mit Stirnlampe und ich fand am nächsten Morgen um 6:00 Uhr ein schwaches, wackeliges, aber lebendiges Lamm sowie eine noch immer recht irritierte Mami vor.
"Wenn der sich durchboxt, heißt er Rocky", was uns dann doch etwas zu - nennen wir es - trivial vorkam. Balboa hat's geschafft, Lieschen ist die beste Mama eines kleinen Bocklamms mit Beeinträchtigungen geworden. Tagsüber sind die beiden schon zweimal mit der Herde draußen herumgelaufen, heute wirkt die Mutter-Kind-Bindung so gefestigt, dass sie für die Nacht nicht eingepfercht worden sind.
Und wieder ist es ein ganz besonderes Erlebnis, von dem ich gerade berichtete. Neues Leben ist immer ein kleines, großes Wunder und klar wird es noch besonderer, wenn man selbst daran beteiligt ist (oder sich dies zumindest einbildet). Aber ist es "fair", dass ich zwei Tage nach den Drillingen die von der wunderschönen, definitiv klonbaren Dolly ins Futterheu geworfenen Zwillinge Kylie und Frank nicht erwähnte? Ist es nicht wichtig, Mäx wieder mehr zu beachten, ihn öffentlich dafür zu loben, wie brav er mit der Lämmerbande umgeht, obwohl die kleinen Rocker ihm nicht immer ganz geheuer sind und die Propellermütter teils wütend auf ihn zugerannt kommen?
Und was ist mit Blanca? Die stand Montagmorgen nicht ganz alleine neben Balboas Pferch, als wenn nie etwas gewesen wäre. "Oh Mann, noch eins!", weshalb Lamm Nr. 7 Manni heißt. Und heute hat Smilla ein gesundes Mädchen zur Welt gebracht. Smilla ist selbst noch ein Lamm und - "Elli ist auch ein schöner Name..."
Ja, liebe Mitzählenden, Mitfiebernden, Mitlesenden, das Update lautet 'acht'. 8 Lämmer. 19 Tiere auf der Weide, 22 Schafe insgesamt... Ehrlich?! Ich fürchte, die Auen sind alle trächtig...
Natürlich bereitet mir die mittlerweile stets erste Frage "Und was macht ihr mit den ganzen Lämmern?" zuweilen etwas Kummer. Ich habe aber noch ein paar Monate Zeit, darüber nachzudenken und kann die uns umgebende pure Lebensfreude momentan einfach nur genießen!
Es wird sich alles ergeben, genau wie neue Geschichten, neue Updates. Und so wünsche ich allen für heute - mit echten Osterlämmern - einfach nur ein paar schöne Ostertage. Diese bedeuten Neubeginn und Wiedergeburt - wie auch der Frühlingsanfang und... jedes Lamm... :-))
Frohe Ostern!
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28.03.2024
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