Das Glück hat 23 Namen... Und noch ein paar mehr.
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"Tante Onkel, Tante Onkel, bitte erzähle uns eine Geschichte!", blökte es lautstark aus diversen Lämmermäulchen, als Kleiner Onkel sich in Begleitung ihrer beiden Mädchen Tuka und Grace nach dem Abendessen in den Stall begab. Sie legte sich etwas behäbig in ihre Lieblingsecke. Kleiner Onkel war eines der drei ältesten Schafe in der Herde, eine sehr erfahrene Lady. Sie mochte ihren Namen, den sie erhalten hatte, als die neuen Menschen die schwarzen Punkte an ihren weißen Beinen bemerkten. Eine Färbung wie bei einem Apfelschimmel (wohl Pipi Langstrumpfs Pferd...), zudem das einzige Unterscheidungsmerkmal zu Freckles, die wie sie selbst lustige, wie Sommersprossen wirkende Felltupfer nur im Gesicht trug.
Nachdem die Drillinge von Grinsi nun schon fünf Wochen alt und aus dem Gröbsten heraus waren, konnte die Lage in der Herde durchaus als entspannt bezeichnet werden. Wenngleich auch die Jüngsten Linus, Lucy und Schröder sowie die nur fünf Tage ältere, mit gut 12 Kilogramm Lebendgewicht aber offensichtlich frühreife Nona ("no name") etwas nervten, weil sie noch nicht einmal in Ruhe wiederkäuen konnten, hatte sich ein schönes Ritual im Stall etabliert: Die Alten erzählten (manchmal und am liebsten bei Regen) den Kleinen zum Einschlafen im Lämmerschlupf Geschichten.
"Gut, aber bitte nicht schon wieder von den Wolkenschafen", raunte Kleiner Onkel, deren Klauen wegen der heutigen Behandlung etwas pochten, aber nicht mehr so sehr schmerzten, dass jedes Blöken wie ein Seufzer klingen musste. Sie hasste diesen Zustand, der sie wie ein altes, ächzendes Weib wirken ließ, doch sie hatte im letzten Jahr die Klauenseuche. Davon gab es nun zum Glück nur noch drückende Verwachsungen als Souvenir. Kleiner Onkel klagte darüber nie.
"Doch, bitte erzähle von den Wolkenschafen! Das ist der einzige Moment, wo Tante Smilla mal die Hufe still hält!", blökte die selbstbewusste Kylie (Minogue), die Schwester von Frank (Zappa), die schon das ein oder andere Mal mit Smilla aneinandergeraten war. Smilla war nämlich auch noch ein Lamm, das im Alter von etwa 13 Monaten - geschwängert vom eigenen Vater - Mama wurde. Ihr gesamtes Verhalten war das eines fröhlichen Lammes. Da passte kein Baby rein. Da sollte lieber mit Gleichstarken gerangelt werden. Smilla hatte ihr Lamm Elli verloren und holte nach einer kurzen Trauerphase nun ihre Jugend nach.
"Hört bitte auf, euch zu zanken,", mischte sich die schöne Blanca ein, "man mokiert sich nicht über die Gefühle anderer Schafe!" - "Du hast meiner Tochter gar nichts zu sagen, du arrogante Ziege!", fiel Dolly ihr ins Wort. "Wenn überhaupt kann sie sich das unhöfliche Verhalten ja wohl nur von deinem Rüpel Manni abgeschaut haben." Olivia, die ihren Namen wegen ihres eleganten Ganges auf auffällig langen Beinen bei recht burschikoser Figur nach dem Hamburger Original Olivia Jones erhalten hatte, nahm Manni, den besten Freund ihrer Poppy (Popeye), dem buntesten Auenlamm der Herde, in Schutz: "Der Junge ist doch echt harmlos im Vergleich zu Knut und Nappo (Napoleon Murphy Brock). Diese vorwitzigen Kerle halten sich doch jetzt schon für die Leitböcke der Herde und kennen bei ihren sexistischen Anzüglichkeiten nicht einmal bei ihrer eigenen Schwester Mascha Grenzen. Pfui!"
Achtundsechzig war ein sehr harmoniebedürftiges und kuscheliges Schaf. Sie bändelte mit jedem Besucher auf der Weide an, so dass jeder Besucher sich dazu genötigt fühlte, ihr einen Namen geben zu wollen. Irgendwann stampfte das bei Allen beliebte Schaf auf und schnaubte wütend, dass Achtundsechzig auch ein schöner Name sei, den definitiv niemand vergessen könne, schließlich sei dieser gut lesbar auf ihrer Ohrmarke eingraviert. Achtundsechzig konnte Streit in der Herde nicht gut ertragen und räumte ein, dass man zu so später Stunde Rücksicht auf die Waisenlämmer nehmen sollte, die nun ein Recht darauf hätten, mit der tröstenden Legende um die Wolkenschafe einzuschlafen.
"Ach was," flüsterte Balboa mit etwas gebrochener Stimme, "ich bin doch schon groß und weiß, dass meine echte Mami Lieschen Höger ein Wolkenschaf ist. Genau wie Knöpfchens Mutter Filou und unsere kleine Freundin Elli. Ich weiß auch, dass sie immer auf uns aufpassen und wenn wir in den Himmel schauen, können wir sie sehen. Das ist das Privileg der Schafe: Die Seelen anderer Lebewesen sausen unsichtbar durchs Universum, die Seelen der Schafe materialisieren sich als Wolkenschafe. Sie freuen sich über uns und sie spenden uns Trost, wir sind nie allein. Selbst wenn die Wolkenschafe traurig sind und weinen, kümmern sie sich um uns: Sie sorgen dafür, dass unsere Wiesen stets grün und saftig sind."
"Du hast gut aufgepasst, kleiner Kämpfer!", sagte Kleiner Onkel sanft, bot ihm einen Schlafplatz an ihrer warmen Lende an und zeigte zur Erinnerung ein paar Fotos herum. Auf einem war auch ihre Tochter Cloud zu sehen, die bereits in ihrem Leib gestorben war und Tuka und Grace, tot im Geburtskanal steckend, zunächst den raschen Weg ins Leben versperrte. Zum Glück hatte die neue Schäferin schon viel gelernt und so konnte Kleiner Onkel sich dank dieser an zwei putzmunteren Zwillingen erfreuen.
Lieschen Höger, Februar 2022 - 8. April 2024 | Cloud, 14. April 2024 |
Filou, Februar 2023 - 15. April 2024 | Elli, 28. März - 17. April 2024, |
Ein lautes Schluchzen zerriss die nahezu andächtige Stille. "Ich will noch kein Wolkenschaf werden!", plärrte Knöpfchen inbrünstig. "Aber wie kommst du denn darauf, kleiner Jim Knopf? Wir alle werden eines Tages Wolkenschafe, aber jetzt doch noch nicht." - "Unsere Schäferin hat uns doch ganz doll lieb! Und ein Mann in der Kiste, in die sie oft starrt, hat gesagt 'Du wirst töten, was du liebst.' Und jetzt üben wir Jungs sogar schon, auf dem Anhänger zu fahren. Meine Ersatzmami hat mich doch lieb?"
Ein dicker Kloß setzte sich in Kleiner Onkels Kehle fest. Sie hatte in all den Jahren schon viele ihrer Söhne eine Reise zu einem Ort namens Schlachter antreten sehen. Und sie kamen niemals zurück. Sie schluckte ihr Gefühl tiefer Trauer herunter und konnte Knöpfchen beruhigen: "Dieser Satz hat unserer Schäferin einige schlaflose Nächte bereitet, doch du kannst dich darauf verlassen, dass sie alles daran gesetzt hat, euch neugierige, lebensfrohe Gesellen nicht aktiv zu Wolkenschafen zu machen. Jungs, ihr dürft alle zusammenbleiben. Die Schäferin hatte einen Sechser im Lotto!" Und dann erzählte Kleiner Onkel von der großen Verantwortung, die die süßen Bocklämmer bald tragen würden, weil sie gemeinsam in einer riesigen Bockherde als Landschaftspfleger für den natürlichen Bewuchs auf einer unvorstellbar großen Weide sorgen werden. Sie zeigte den zufriedenen Lämmern noch ein paar Bilder aus ihrer Kindheit. Bald schlummerten sie ein und träumten von ihrem nächsten Ausflug zu den Onkeln Nücki, Böckchen und Elton auf dem Anhänger.
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